Der Weltraum ist für „unendliche Weiten“ bekannt – doch auch hier auf der Erde gibt es Gebiete, die durchaus einer solchen Bezeichnung würdig sind. Unser Serviceleiter Tobias Pölchen konnte das bei einem seiner jüngsten Auslandseinsätze in Kanada erleben.
Die Aussöhnung mit der indigenen Bevölkerung endlich ernsthaft zu betreiben und die Rechte von Ureinwohnern nicht länger zu übergehen, zählt mittlerweile zu den wichtigsten Anliegen der Regierung Kanadas. Mit rund 900.000 Angehörigen stellen die „First Nations“ im flächenmäßig zweitgrößten Land der Erde die größte Gruppe der Ureinwohner. Aufgeteilt in mehr als 600 Gemeinschaften, mangelt es in den oft weit abseits gelegenen Siedlungen vor allem an moderner Infrastruktur. Inzwischen betreibt der Staat aber großen Aufwand, um die Lebensbedingungen der First Nations zu verbessern – und zugleich auch einen Beitrag zur Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen zu leisten. Beispiel: Das „Wataynikaneyeap Transmission Project“, kurz Watay Project. Ziel des Projektes: Die Errichtung eines 1.800 Kilometer umfassenden Übertragungsnetzes, um 24 First Nations im Nordwesten der kanadischen Provinz Ontario dauerhaft und zuverlässig mit Strom versorgen zu können.
Außergewöhnlich, beeindruckend, abenteuerlich
„Das Watay Project ist schon sehr außergewöhnlich und überaus beeindruckend“, sagt Tobias Pölchen. Er muss es wissen. Pölchen kümmert sich bei EMH um den After Sales Service im Bereich Transformator Monitoring. Zum Gelingen des Watay Projects steuert EMH mehr als 20 Systeme vom Typ HYDROCAL 1008 bei – und während des vergangenen Jahres unternahm Tobias Pölchen drei Reisen nach Ontario, um das örtliche Servicepersonal im Umgang mit den Geräten zu schulen und die Inbetriebnahmen zu begleiten. Was Pölchen unterwegs erlebte, darf in jedem Fall als abenteuerlich bezeichnet werden.
Entfernungen anfangs total unterschätzt
„Als es im März 2022 losging, habe ich erst einmal die Entfernungen an meinen Zielort kräftig unterschätzt“, berichtet der 32-Jährige. „Von Toronto aus ging es mit einem Inlandsflug weiter nach Thunder Bay am südlichsten Zipfel von Ontario, und von dort aus nahm ich für die restliche Strecke zur Baustelle in Pickle Lake einen Mietwagen.“ Klingt einfach und plausibel – doch „die restliche Strecke“ führte rund 800 Kilometer weit durch überwiegend menschenleere und zudem verschneite Gegenden, bei Außentemperaturen bis zu minus 30 Grad Celsius. In Pickle Lake angekommen, war Pölchen bei der Überprüfung der angelieferten Hydrocal-Systeme erst einmal verwundert: „Der Spezifikation nach müssen die Geräte bei Umgebungstemperaturen unterhalb von minus 20 Grad entweder warm und trocken gelagert werden oder durchgehend unter Spannung stehen“, erklärt Pölchen. Als die Lieferung in Pickle Lake ankam, war der entsprechende Hinweis aber wohl irgendwie untergegangen – zum Glück konnten die EMH-Systeme aber auch die vorübergehende Belastung jenseits der Spezifikation absolut schadlos überstehen.
Gut eine Woche lang widmete sich Tobias Pölchen sodann der Anwenderschulung und ersten Hydrocal-Inbetriebnahmen in den jeweils rund 80 Kilometer voneinander entfernten Trafostationen. Insgesamt umfasst das Watay Project neben dem Neubau der Überland-Hochspannungsleitungen auch die Errichtung von 22 Unterwerken, die dort eingesetzten Öltransformatoren werden künftig von Hydrocal-Systemen aus dem Hause EMH überwacht.
Auf dem Weg zur Arbeit einem Schwarzbär begegnet
Beim zweiten Kanada-Einsatz im Juni vergangenen Jahres hatte sich Tobias Pölchen dann schon an die ungewöhnlichen Entfernungen gewöhnt. Bei sommerlichen 25 Grad Celsius zog er Fahrgemeinschaften dem Alleinsein in kanadischen Weiten vor, statt mit dem Auto wurde so manche Strecke zwischen dem Basislager der Baustellenteams und der jeweiligen Trafostation dann aus Zeitgründen per Hubschrauber absolviert. Nichtsdestotrotz blieb das Autofahren spannend: „Als wir eines morgens auf dem Weg vom Camp zu einer der Stationen waren, trottete plötzlich ein Schwarzbär über die Straße“, berichtet Tobias Pölchen. „Da bekommt man dann für den Moment schon ein etwas mulmiges Gefühl.“ Im Oktober, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, war der dritte Kanada-Einsatz für Pölchen dann aber schon fast Routine.
Autonomie und Versorgungssicherheit für First Nations
Bis das neue Leitungsnetz vollständig ist und die permanente Stromversorgung der 24 First Nations startet, wird allerdings noch etwas Zeit vergehen. Voraussichtlich Ende 2023 ist das Watay Project abgeschlossen, dann sind die rund 15.000 Einwohner in den weit abgelegenen Orten nicht länger auf den Betrieb teurer und zudem umweltschädlicher Dieselgeneratoren angewiesen. Der kanadische Staat investiert dafür unter dem Strich umgerechnet rund 1,3 Milliarden Euro. Demgegenüber steht über die kommenden vier Jahrzehnte gerechnet die Einsparung von umgerechnet rund 900 Millionen Euro an Ausgaben für Dieselkraftstoff, ganz abgesehen von einer Reduzierung der CO2-Emissionen in Höhe von 6,6 Millionen Tonnen über denselben Zeitraum. Nicht zuletzt verspricht das Watay Project den beteiligten First Nations ein deutliches Plus an Wirtschaftswachstum und vor allem ein Höchstmaß an Autonomie – denn das neue Stromnetz befindet sich in Besitz und Verwaltung der indigenen Bevölkerung.
Außergewöhnlich war schließlich auch der Weg, den die von EMH gelieferten Hydrocal-Systeme am Ende zurücklegen mussten. Von Brackel in Niedersachsen ging es erst einmal per Luftfracht nach Südkorea. Doch wurden die Geräte vom Transformatorenhersteller auf Herz und Nieren geprüft und anschließen per Schiff über den Pazifik zum Zielort Kanada transportiert. Von Brackel aus fast einmal rund um die Welt.